“Werde ich allein sein?“ Weihnachten ohne Mama und Papa im junikum

Annika Basdorf mit Geschenken für die Kinder der junitOERBIT

von Regi­ne Klein, Stim­berg­zei­tung. Hei­lig­abend im juni­kum in Oer-Erken­sch­wick. Ohne Mama und Papa, aber mit ganz vie­len Gefüh­len. Auch sol­chen, die her­aus­for­dern – wenn es plötz­lich „zu schön“ ist.

Hei­lig­abend ist ein beson­de­rer Tag – vor allem für Kin­der. Eine Zeit im Jahr, in der sich vie­le nach Zuhau­se, Fami­lie und Gebor­gen­heit seh­nen. Maria und Josef waren mit ihrem Kind in der Weih­nachts­ge­schich­te fern ihres Zuhau­ses – aber sie fan­den ein Stück Hei­mat in der Hei­li­gen Nacht. Hei­mat geben, das wol­len auch für die enga­gier­ten Erzie­he­rin­nen und Erzie­her des juni­kums. Natür­lich wird in den Wohn­grup­pen der Jugend­hil­fe­ein­rich­tung Weih­nach­ten gefei­ert. Die sie­ben Jungs in der „juni­tOer­bit“ sind schon ganz ner­vös, ver­rät Team­lei­te­rin Anni­ka Bas­dorf. Vier von ihnen wer­den Hei­lig­abend in der Wohn­grup­pe ver­brin­gen, fern der Eltern.

Weil es sie glück­lich macht

Acht Jah­re ist der jüngs­te, 15 der ältes­te der Jun­gen, die hin­ter der grau­en Klin­ker­fas­sa­de mit den gro­ßen, weih­nacht­lich ver­zier­ten Fens­tern leben. Die Wohn­grup­pe ist ihr Zuhau­se. Ihr „ande­res“ Zuhau­se, denn es gibt ja ein Daheim, eines bei den Eltern. Doch dort kön­nen sie gera­de nicht leben. „Oer­bit“, das ist eine Inten­siv­wohn­grup­pe, „und unse­re Jungs kom­men aus allen sozia­len Schich­ten“, erklärt die 27-jäh­ri­ge Team­lei­te­rin. Sie hat in ihrem for­dern­den Beruf ihre Beru­fung gefun­den: „Ich mache das, weil es mich glück­lich macht, die Kin­der auf­wach­sen, in vie­ler­lei Hin­sicht wach­sen zu sehen.“ Kin­der, die wenig Kon­takt zu ihren Eltern haben, Mama und Papa aber oft­mals über alles lie­ben. „Eini­ge kön­nen aber auch sehr gut benen­nen, dass doch nicht alles gut war. Dass es gut ist, dass sie dort gera­de nicht sind“, sagt Anni­ka Bas­dorf. Gewalt, Ver­wahr­lo­sung, Dro­gen, Alko­hol, über­for­der­te Eltern – das alles haben sie erlebt.

Bereits eini­ge Zeit vor Hei­lig­abend schmückt Anni­ka Bas­dorf mit den Jun­gen aus der Wohn­grup­pe den Weih­nachts­baum. Der ist eine Spen­de © Regi­ne Klein, Stimbergzeitung

Und doch sind sie eben auch Jungs, Kin­der, die noch an den Weih­nachts­mann glau­ben. „Vie­le wer­den vor Weih­nach­ten ner­vö­ser, unru­hi­ger“, erzählt Bas­dorf, wäh­rend am gro­ßen Ess­tisch in der Küche die Ker­zen auf dem Advents­kranz hei­me­lig fla­ckern. Dass Kin­der vor Weih­nach­ten zap­pe­lig wer­den, ist erst­mal nicht unge­wöhn­lich. Doch die Jungs beschäf­ti­gen noch ande­re Gedan­ken als an die Geschen­ke: Wo wer­de ich Hei­lig­abend ver­brin­gen? Wer­de ich ganz allein sein? Die­se Ängs­te nimmt ihnen das Team. Kei­ner fei­ert allein.

Wunsch­zet­tel für den Weihnachtsmann

Den Kin­dern Sicher­heit ver­mit­teln, Struk­tu­ren, Regeln, das gehört zum All­tag im juni­kum, aber eben auch zum Weih­nachts­fest, das im juni­kum noch mal eige­ne Tra­di­tio­nen hat. „Vie­le der Kin­der erle­ben hier noch­mal ein ganz ande­res Weih­nach­ten als zu Hau­se“, weiß Anni­ka Bas­dorf und wirkt nach­denk­lich. Eines ohne Streit, eines ohne, dass Mama oder Papa viel­leicht schon von Alko­hol oder Dro­gen bene­belt sind… Weih­nach­ten und Advent, das ist eine inten­si­ve Zeit für die Kin­der, aber auch für die Päd­ago­gin­nen und Päd­ago­gen, die nicht Mut­ter und Vater erset­zen wol­len – aber den Kin­dern Halt geben. Hei­mat geben. Dazu gehö­ren auch selbst­ge­mach­te Advents­ka­len­der, all­abend­lich bei hei­ßem Kakao eine Geschich­te aus dem Advents­ka­len­der­buch und natür­lich Gesprä­che über die Weih­nachts­ge­schich­te. Ganz wich­tig: einen Wunsch­zet­tel an Weih­nachts­mann oder Christ­kind schreiben.

Adventskerzen
Ein Advents­kranz darf natür­lich auch nicht feh­len. Aus Sicher­heits­grün­den aber mit täu­schend echt fla­ckern­den LED-Ker­zen.© Regi­ne Klein, Stimbergzeitung

Nicht alle im Team haben Hei­lig­abend Dienst. „Wer ihn hat, der lässt ein biss­chen von sei­nen Tra­di­tio­nen ein­flie­ßen“, erzählt Anni­ka Bas­dorf. Heu­te Abend gibt es in der „juni­tOer­bit“ ein Raclette, Kar­tof­fel­sa­lat und Würst­chen stan­den aber auch schon auf dem fest­lich gedeck­ten Tisch. Nach­mit­tags, da geht es raus, zum Spa­zie­ren, ins Kino – sich ablen­ken, die Anspan­nung los­wer­den. Eines darf Hei­lig­abend nicht feh­len: das gemein­sa­me Früh­stück mit allen Kin­dern und Erzie­hern. Auf den Tisch kommt, was sich die Kin­der wün­schen: Frisch­kä­se, Lachs – Din­ge, die das Bud­get viel­leicht nicht immer her­gibt. Und danach? „Dann gibt es die ers­te Besche­rung.“ Die­se Geschen­ke – von den Wunsch­baum-Aktio­nen – wer­den gemein­sam aus­ge­packt. Wie das Team die­se zuvor in die Wohn­grup­pe bekommt, steht auf einem ganz ande­ren Blatt – bei sie­ben Jungs, die durchs Haus wuseln, Augen und Ohren immer offen…

Aus­ge­packt wird unterm Tannenbaum

Die Geschen­ke wer­den unter dem Tan­nen­baum aus­ge­packt, der im Wohn­zim­mer steht. Gemein­sam geschmückt haben sie ihn bereits Tage zuvor. Dabei erlebt Anni­ka Bas­dorf auch einen die­ser Momen­te mit „ihren“ Jungs. Ein sonst recht zap­pe­li­ger Acht­jäh­ri­ger nimmt sie nach jeder Kugel, die er ganz sorg­sam an den Baum gehängt hat, in den Arm. Beim Anblick des geschmück­ten Bau­mes strahlt er über das gan­ze Gesicht: „Das sieht so schön aus!“ In die­sem Moment brauch­te er die­se Mög­lich­keit, Zunei­gung und Lie­be aus­zu­drü­cken. Manch­mal ist das ein Spa­gat für die Erzie­her, die eige­nen Gren­zen und die der Kin­der zu ken­nen und zu respek­tie­ren. Denn ihre Eltern sind sie nicht.

Weihnachtsdekoration
Über­all in der Wohn­grup­pe fin­det sich selbst­ge­bas­tel­te Advents­de­ko, wie dies nied­li­che Ren­tier an der Tür zur Küche.© Regi­ne Klein, Stimbergzeitung

24 Stun­den blei­ben die, die Dienst haben, an Weih­nach­ten in der Wohn­grup­pe, sonst dau­ern Schich­ten zwi­schen sechs und acht Stun­den. Ist das Raclette heu­te Abend ver­putzt, gibt es eine Besche­rung für die vier Jungs. Zwi­schen zehn und zwölf Jah­ren sind sie alt, wün­schen sich Lego oder Play­mo­bil. Vom Jugend­amt gibt es ein Bud­get für Weih­nachts­ge­schen­ke, das liegt pro Kind zwi­schen 35 und 85 Euro. Das juni­kum gleicht die Dif­fe­renz aus, damit alle etwas im glei­chen Wert bekommen.

Dann sind die Erzie­her da

Und wenn die Lich­ter in den Kugeln des Tan­nen­baums glit­zern, wird wie in unzäh­li­gen Fami­li­en heu­te Abend nach dem Aus­pa­cken auch gemein­sam zusam­men­ge­baut und gespielt, wer­den Kek­se genascht und Weih­nachts­lie­der gesun­gen. Für eini­ge der Jungs kann es auch zu schön, zu toll sein – das ken­nen vie­le Fami­li­en eher nicht. Dann fal­len plötz­lich Sät­ze wie: „Ich habe das doch alles gar nicht ver­dient!“ Doch, haben sie – alle­samt. In die­sem Sin­ne: ein geseg­ne­tes Fest!

Geschenke unter dem Weihnachtsbaum
Bei Wunsch­baum-Aktio­nen machen auch die Wohn­grup­pen des Juni­kum mit. Die­se Geschen­ke, spen­diert von Oer-Erken­sch­wi­cke­rin­nen und Oer-Erken­sch­wi­ckern, wer­den Hei­lig­abend als Ers­te aus­ge­packt.© Regi­ne Klein, Stimbergzeitung

 


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