Reform oder Rolle rückwärts — die Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ist erst einmal auf Eis gelegt. Doch die Diskussionen in der Fachwelt gehen weiter. Ein Arbeitsentwurf für das neue Gesetz zeigt die mögliche Richtung an. Für den Laien hört es sich gut an: Künftig soll das Recht auf Hilfe dem Kind und nicht mehr den Eltern zuerkannt werden. Doch vor allem dieser Passus in einem Arbeitspapier zur Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) löste einen Aufschrei in der Fachwelt aus. “Eine Rolle rückwärts”, befürchtet Prof. Dr. Dr. Reinhard Wiesner. Hart ins Gericht ging er mit den bekannt gewordenen Reformansätzen auf der Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft Erziehungshilfen (AGE) im Diözesan-Caritasverband Münster. Kleine Änderungen lassen die Fachleute aufhorchen. Wenn das Recht auf Hilfe nicht mehr bei den Eltern liege, sondern beim Kind, könnten die Jugendämter künftig umfassende Hilfen für die Familie abwehren, befürchtet Wiesner: “Der Anspruch wird ausgehöhlt.” Überhaupt komme das Wort “Hilfe” nicht einmal mehr vor.
Versuch, Kosten zu senken
Stattdessen sei von Steuerung die Rede, und da sollten die Jugendämter gestärkt werden, so Wiesner. Deren Rolle sei aber auch heute schon nicht schwach. Vor allem gehe es darum, Kosten zu sparen. Entsprechend sollten künftig Gruppen- und infrastrukturelle Angebote Vorrang vor Einzelfallhilfen haben. Wiesner bezweifelte aber, dass eine Familie mit Erziehungsproblemen und vielleicht auch Schulden dies vor anderen ausbreiten werde. „Sozialraumorientierung wird hier als Allzweckwaffe gesehen”, kritisierte Wiesner. Die Möglichkeiten sozialräumlicher Angebote würden aber überschätzt. Als zusätzliche Unterstützung könnten sie hilfreich sein.
Es gebe viele weitere Kritikpunkte, aber letztlich stelle sich die Frage der Verteilung: “Wenn wir sagen, kein Geld zu haben, ist das beschämend”, sagte Wiesner: “Erziehung wird in unserer Gesellschaft nicht ernst genug genommen.” Der Ausgangspunkt aller Überlegungen müsse doch die “Verantwortung für die künftige Generation” sein. Dass die Kosten für die Kinder- und Jugendhilfe stark gestiegen seien, liege in erster Linie an den geänderten Lebenslagen der Familien, die einen höheren Hilfebedarf bedingten.
Wiesner war sich mit den AGE-Delegierten einig, dass das 1991 nach zehnjähriger Diskussion in Kraft getretene Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) nach wie vor ein »modernes Sozialleistungsgesetz« ist. 40-mal sei es inzwischen in einzelnen Punkten angepasst worden. Eine behutsame Weiterentwicklung in einzelnen Punkten wäre für Wiesner weiterhin der richtige Weg.
Zu begrüßen sei die Absicht, die Hilfen für behinderte Kinder und Jugendliche aufzunehmen und damit Hilfen aus einer Hand zu ermöglichen. Hier habe die Bundesregierung erkannt, dass es Zeit für einen breiten Diskussionsprozess zwischen Jugend- und Behindertenhilfe brauche, und bereits fünf Jahre eingeplant. Die große Reform, so AGE-Geschäftsführerin Barbara Kick-Förster, sei allerdings erst einmal abgesagt, jetzt solle es nur eine kleinere geben. Zu befürchten sei allerdings, dass der Sparwille dafür die Richtschnur bleibe.