Von Mahad Theurer, Stimbergzeitung. Nach gescheiterten Jugendhilfen lebt Justin seit zwei Jahren bei einer Gastfamilie in Oer-Erkenschwick. Seitdem geht es für den Jugendlichen bergauf.
Justins Weg nach Oer-Erkenschwick war ein langer und kein einfacher. Seit ungefähr zwei Jahren wohnt der mittlerweile 20-jährige bei seiner Gastfamilie, den Herstells. Davor liegen ein Aufenthalt in einer Wohngruppe, Rausschmiss, Wochen in einer Jugendschutzstelle und rund vier Jahre, die der junge Mann in Polen gelebt hat.
In den zwei Jahren, in denen er bei seiner Gastfamilie ist, habe der ursprünglich schwierige Jugendliche eine Kehrtwende hingelegt, befindet Gastvater Olliver Herstell. Unterstützt wurde Justin dabei von seinen Gasteltern und den Mitarbeitern des junikum, die Justin zuerst nach Polen und dann zu den Herstells vermittelt haben.
Ein langer Weg
Gebürtig stammt Justin aus Castrop-Rauxel. Das Jugendamt trennte ihn mit zehn Jahren von seiner Herkunftsfamilie. Justin sei insbesondere in der Schule auffällig gewesen, habe Dinge zerstört und sei häufig gar nicht erst zum Unterricht aufgetaucht, berichtet er. Das Jugendamt steckte ihn in eine Wohngruppe nach Siegen, für drei Jahre.
Hier setzte sich Justins unkontrolliertes Verhalten fort und verschlechterte sich noch, sodass die Polizei regelmäßig eingeschaltet wurde. Mit 13 hatte Justin die Wahl: entweder ein Aufenthalt im Jugendgefängnis oder ein längerer Aufenthalt in Polen. In einer Jugendschutzstelle in Essen hatte Justin bereits Erfahrung mit Gewalt gemacht und entschied sich für Polen.
Hier kam das junikum aus Oer-Erkenschwick ins Spiel. Christoph Finger vermittelte den Jugendlichen in eine Pflegefamilie nach Chwarzno in die Nähe von Danzig. „Das war rückblickend eine sehr gute Entscheidung“, findet Justin. In Chwarzno war der Jugendliche erstmal damit beschäftigt anzukommen, die Sprache und die Gepflogenheiten zu lernen. Er habe kaum Kapazitäten gehabt, Mist zu bauen, meint er. „Polnisch spricht Justin heute fließend“, berichtet Papa Herstell.
Als Justin dann 18 wurde, drohte die Jugendhilfe für ihn auszulaufen. Gemeinsam mit der Verantwortlichen des Jugendamts sei Christopher Finger nach Chwarzno gereist, um zu beratschlagen, wie es für den Jugendlichen weitergeht. Justin, der die Hilfe als 18-Jähriger auch hätte ablehnen können, hatte in der Zwischenzeit Vertrauen in die Maßnahmen des Jugendamtes gefasst. Alle Beteiligten willigten ein, die Hilfe fortzusetzen. Mit dem Konzept Pflegefamilie hatte Justin in Polen gute Erfahrungen gemacht, also wurde nach einer Möglichkeit gesucht, ihn auch in Deutschland in einer Familie unterzubringen.
Junge Menschen in Gastfamilien
Ungefähr zeitgleich wollte sich die Familie Herstell beim Jugendamt als Gastfamilie für Jugendliche zur Verfügung stellen. „Wir haben von dem Konzept von Bekannten erfahren, die bereits einen Jugendlichen bei sich zu Hause hatten. Das durchzukriegen, war aber gar nicht so einfach“, erzählt Oliver Herstell. „Das Jugendamt war zuerst dagegen, weil wir in dieser Richtung ungeschult sind.“ Er sei Busfahrer, seine Frau Gaby Altenpflegerin. Christopher Finger habe sich dafür eingesetzt, dass die Herstells Jugendliche bei sich aufnehmen können.
„Unser Konzept JuMeGa, Junge Menschen in Gastfamilien, ist niedrigschwellig. Die Familien müssen keine pädagogisch geschulten Pflegefamilien sein.“ Die Herstells haben selbst vier Kinder. Zwei von ihnen sind bereits aus dem Haus. Erfahrungen mit Kindern haben sie also.
„Es gibt manche Eltern, die nach Ausziehen der eigenen Kinder auch weiterhin Lust auf diese Rolle haben“, meint Christoph Finger. Manche würden dann die ausgezogenen Kinder nerven oder auf Enkelkinder warten, um sich an diesen auszulassen. „Eine andere Möglichkeit ist, dass man seine Familie Jugendlichen wie Justin öffnet.“
Das sei natürlich nicht immer nur einfach, sondern auch eine Menge Arbeit. Aber: „Wir sind familienfreundlich“, meint Oliver Herstell. „Wir behandeln Justin so wie unsere eigenen Kinder.“ Für Justin sei das alles ein riesiger Glücksfall gewesen, meint Christopher Finger. „Der Markt ist aktuell leergefegt, da ist es sehr schwierig ein passendes Angebot für die Jugendlichen zu finden.“ Justin lebt nun in dem Zimmer eines der erwachsenen Herstell-Kinder.
Eine Erfolgsgeschichte
Von hier geht er jeden Tag zu seinem Ausbildungsplatz bei Grabmale Vogt in der Nachbarschaft. „Ich werde Steinmetz und übernehme da auch kaufmännische Aufgaben“, erzählt er. Zu Beginn seines Aufenthalts bei den Herstells sei noch nicht absehbar gewesen, dass er es mal in einen geregelten Alltag schafft. „Am Anfang war Justin häufig ‚krank‘ und hatte Wehwehchen“, meint Mutter Herstell. „Er musste erstmal lernen, dass wir eine Arbeiterfamilie sind und Wert auf Disziplin legen.“ Mittlerweile besuche der 20-Jährige jeden Tag seine Ausbildung und habe keinerlei Fehlzeiten.
Geholfen haben der Familie und Justin die Mitarbeiter des junikum. Dietmar Labs unterstützt die Familie bei Bedarf und mit regelmäßiger Beratung. Einfach war es mit Justin nicht immer. „Ich habe es auch mal in die Zeitung geschafft“, berichtet Justin. „Der Anlass war kein ganz so schöner.“ Er habe 2022 als Beifahrer in einem Unfallauto gesessen, das sich überschlagen hatte und auf dem Dach gelandet war. Direkt habe er Oliver Herstell angerufen, der noch vor der Polizei am Unfallort gewesen sei und die Jugendlichen aus dem Auto gezogen habe. Justin gibt an, sich bei den Herstells richtig wohl zu fühlen.
Da er noch Hilfe bei der Verselbstständigung brauche, speziell beim Umgang mit den eigenen Finanzen, soll Justin auch weiterhin Hilfe von den Herstells bekommen. „Im November 2024 wird Justin 21, da läuft die Jugendhilfe normalerweise aus“, sagt Christoph Finger. Justins Ausbildung sei zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht abgeschlossen. „Wir wollen uns dafür einsetzen, dass Justin nicht fallengelassen wird“, meint Dietmar Labs.
Justins Geschichte sei eine Erfolgsgeschichte. Die beiden Jugendträger-Mitarbeiter wünschen sich, dass mehr Familien wie die Herstells Jugendliche bei sich aufnehmen. „Für die Jugendlichen wäre das super und die Familien sollen dafür, dass sie soziale Verantwortung übernehmen, auch angemessen entschädigt werden“, sagt Christoph Finger.
© Text und Fotos: Mahad Theurer, Stimbergzeitung