Von Gerhard Römhild (WAZ).
Oer-Erkenschwick. Krisen gibt es im Leben immer wieder. Einige können besonders existenziell werden, gerade für junge Menschen, die in ihren Familien oder stationären Jugendgruppen an ihre Grenzen stoßen und dort nicht mehr leben können. Sie bedürfen der Hilfe. Eine der Soforthilfen ist das Leben in einer Gastfamilie – auf Zeit. Das junikum mit seiner Zweigstelle in Gladbeck und der Sozialdienst Katholische Frauen (SKF) in Lüdinghausen kooperieren und halten mit JuMeGa® (Junge Menschen in Gastfamilien) ein solches effektives Angebot vor.
Die 17-jährige Nadine jedenfalls hat es bei Gastmutti Britta Menzler und deren 19-jähriger Tochter bestens getroffen. Seit acht Monaten lebt sie dort. Der Schulwechsel hat gut geklappt, zur Tochter hat sie ein geradezu geschwisterähnliches Verhältnis. „Zusammen gucken wir Filme, gehen gemeinsam feiern, können uns aber auch in Ruhe lassen.“ Die 17-Jährige lobt die Sicherheit, die ihr durch das gemeinsame Leben gegeben wird. „Wenn alles ausgeglichen ist, kommt man nicht auf dumme Ideen.“
Christoph Finger von den Mobilen Pädagogischen Diensten (MoPäD) des junikum: „Wir haben zur Zeit zehn Gastfamilien. Alle sind professionelle Eltern, haben schon ihre Kinder großgezogen.“ Damit beschreibt Finger das Besondere an der Auswahl der Gasteltern. „Bei den Gasteltern wird keine pädagogische Vorbildung vorausgesetzt. Es handelt sich um ganz normale Leute.“ Keinesfalls wolle man an den Gasteltern »rumpädagogisieren«. Vielmehr sollen, so Finger, „Lebensräume geschaffen werden und keine Therapieräume“. So setze JuMeGa® auf eine ganz normale Familie für die Jugendlichen. „Das ist das Wichtigste. Da dürfen sie sein wie sie sind.“ Gerade das Erleben von Normalität entfalte besondere Wirkungskräfte. Die Fachleute Christoph Finger (junikum) und Gertrud Kleingräber (SKF) wiederum stehen den Gastfamilien eng zur Seite. „Im Hintergrund sind wir immer da.“ Dazu gehören regelmäßige Besuche bei den Gasteltern. Und „da schauen wir sehr genau hin, lassen die Familien nicht im Regen stehen“.
Das Jugendamt tritt an junikum und SKF heran, dann werden die Jugendlichen – ab zwölf Jahren, bei Bedarf auch über das 18. Lebensjahr hinaus – an Gastfamilien vermittelt. Aktuell sind neun Jugendliche von junikum in solchen Familien untergebracht, verteilt in der Region vom südlichen Münsterland bis zum Ostvest. Finger: „Meistens wird das ein Kurzaufenthalt für zwei Jahre, der darf aber auch schon mal darüber hinausreichen.“ Und das ist der große Unterschied zur Pflegefamilie: Der Aufenthalt bei den Gasteltern ist ein Zuhause auf Zeit.
Ein enorm wichtiges Zuhause, denn die Jugendlichen kommen aus zerrütteten Familien, haben bereits eine langjährige Jugendhilfe-Biografie hinter sich, gar mancher lebte auf der Straße. Vielleicht hat es auch vorher schon in der Pflegefamilie oder der Wohngruppe geknallt. Längst ist auch nicht garantiert, dass es in der Gastfamilie auch klappt, die ja eigentlich den Rahmen bieten soll, um Beziehungen einzugehen, sich zu stabilisieren und emotional nachzureifen. Sollte es nicht passen, dann müssen sich die Wege eben wieder trennen. Finger: „Mit der Familie, den jungen Menschen und seinen Eltern überlegen wir dann, welchen anderen Lebensort es geben kann.“ Zu den Jugendlichen in problematischen Lebenssituationen gehören auch junge Flüchtlinge. junikum und der Sozialdienst Katholische Frauen (SKF) betreuen im Rahmen des Programms JuMeGa® (Junge Menschen in Gastfamilien) fünf Flüchtlinge, die in Gastfamilien untergebracht sind. Diese jungen Menschen sind aus Erstaufnahmeeinrichtungen und aus Wohngruppen zugewiesen worden. junikum-Fachberater Christoph Finger: „Es handelt sich um unbegleitete Flüchtlinge aus Syrien, Irak und Albanien.“ Bislang zeige sich, dass die Situation für beide Seiten ein Gewinn ist.
Die Flüchtlingsunterbringung im JuMeGa®-Projekt von junikum und SKF begann vor zwei Jahren. Finger: „Die Erfahrungen sind durchweg positiv, die Flüchtlinge sind sehr gut in den Gastfamilien angekommen.“ JuMeGa® scheint so durchaus ein passendes Hilfeangebot für diese jungen Menschen zu sein. Insbesondere dann, wenn es sich um Flüchtlinge handelt, die polytraumatische Erfahrungen gemacht haben oder aufgrund von Mangelerlebnissen stark in ihrer Entwicklung beeinträchtigt sind. Die Flüchtlinge können sehr von der Lebens- und Alltagserfahrung der Gastfamilie profitieren, wenn diese einen sicheren und wohltuenden Raum für die jungen Menschen bilden.