Von Annette Holthausen.
Ich sitze mit Frau Weber am Frühstückstisch. Die junge Mutter von vier Kindern im Alter zwischen eins und sechs Jahren hat am letzten Wochenende eine Menge erlebt: Viele Streitereien der Kinder untereinander, am Letzten des Monats kein Geld mehr für das Essen, ihr Mann hat sich deshalb mit Freunden zum Trinken getroffen und sie alleine gelassen. Diese oder ähnliche Situationen erleben wir in unserer SPFH-Arbeit jeden Tag. Die Kindesmutter weiter: „Egal, was ich mache, ich bin doch sowieso immer an allem schuld! Das kenne ich schon von früher.“ Ich mache der Mutter das Angebot über das Familienbrett sich die eigene Herkunftsfamilie von früher anzugucken – sozusagen als Lerngeschichte.
Aha-Erlebnisse mit Salzstreuer und Zuckerdose
Dummerweise habe ich weder mein Familienbrett noch spezielle Figuren dabei. Was tun? Da sehe ich es: Teller, Messer, junikum und Tasse. Könnte man da nicht? Ja, man könnte. Spontan schlage ich der jungen Mutter vor statt des üblichen Familienbrettes und der Holzfiguren alles zu verwenden, was wir auf dem Küchentisch vorfinden. Gesagt und getan. Los geht es.
Frau Weber schiebt in der Rekonstruktion ihrer Herkunftsfamilie Salz- und Pfefferstreuer, junikum und Milchkanne hin und her. Sie sucht für sich selbst, in ihrer früheren Rolle als Kind, den Eierbecher aus und stellt sich ganz nah zu ihrer Mutter hin. Hier ist interessant, dass sie ihre Mutter als Zuckerdose darstellt und sie sehr behutsam platziert. Ihr Vater ist das Messer, sie legt es hart und bestimmt weiter weg. Ihre Brüder sind Salz- und Pfefferstreuer.
Neuer Mut für neue Wege
Beziehungsmauern stellt die junge Mutter durch Zuckerstückchen dar. Sie entscheidet selbst, ob sie diese Mauern als möglichen Schutz stehen lassen oder darüber klettern möchte. Frau Weber entscheidet aktiv, welche Schritte sie auf dem Tisch und auch später in Wirklichkeit machen möchte. Sie ist absolut drin im Geschehen, packt schwungvoll ihren Eierbecher und springt voller Elan über die Mauer. Frau Weber ruft: „Da will ich hin, da stehe ich genau richtig“.
Mit mir zusammen entwickelt sie einen Weg. Die junge Mutter hat Mut: „Ich traue mich! Wissen Sie was? Ich fange einfach an. Vielleicht brauche ich zwischendurch eine Pause oder einen Anstubser oder es klappt nicht auf Anhieb.“ Frau Weber sieht in diesem Moment auf unser Familienbrett. Sie erkennt, dass die Muster in ihrer Familie und die Rolle ihrer eigenen Mutter für sie nicht immer hilfreich waren. „Ich möchte meine Dinge anpacken und lustiger sein.“
Eine Heldin unterwegs
Frau Weber ist durch das Aufstellen ihrer Familie auf dem Frühstückstisch vieles klarer geworden. Gemeinsam mit mir an ihrer Seite hat sie sich dieser Herausforderung gestellt. Durch den Blick von außen weiß sie, dass sie die Situation zu Hause so nicht belassen will. Ihren Mann möchte sie nun ebenso zum Stutzen und Nachdenken bringen. „Am Ende sollen wir gemeinsam lachen können.“ Für mich ist Frau Weber heute schon eine Heldin.
Annette Holthausen
Teamleitung der Mobilen Pädagogischen
Dienste (MoPäD) am Standort Castrop-Rauxel
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