“Als wir 2013 die ersten Schulungen durchgeführt haben, gab es bei vielen Kolleg*innen noch einen ‘Aha’-Effekt”, erinnert sich Mathias Haase. Er und Britta Kleine sind Präventionsbeauftragte im junikum und führen gemeinsam mit David Korte und Annika Basdorf die regelmäßigen Präventionsschulungen im junikum durch. “Institutionelle Schutzkonzepte waren damals gesetzlich noch nicht verankert und ‘grenzachtender Umgang’ war noch ein junges Thema in der Jugendhilfe.”
“Heute erzählen wir den Kolleg*innen — auch den Berufsanfänger*innen — damit im Prinzip nichts Neues mehr. Dennoch ist es wichtig, alle dafür zu sensibilisieren und eine gemeinsame Haltung und ein Bewusstsein dafür zur entwickeln”, plädiert Britta Kleine. “Gerade in unseren stationären Hilfen, in denen wir junge Menschen betreuen, die oftmals Grenzverletzungen oder Gewalt erlebt haben, ist es für uns besonders wichtig darauf zu achten, dass sie hier einen sicheren Ort haben.”
Nicht müde werden, das eigene Handeln zu hinterfragen
In den Schulungen geht es darum, dass die Mitarbeiter*innen das eigene Handeln hinterfragen. Sind unsere Abläufe im Alltag angemessen? Ist es noch passend worüber die Erwachsenen entscheiden oder können die Kinder und Jugendlichen hier oder dort noch mehr beteiligt werden? In den Schulungen beschäftigen die Mitarbeiter*innen sich auch mit Regeln, dem “Verhaltenskodex”. Wieviel Nähe ist angemessen, warum sind Geschenke an Kinder, Jugendliche und Eltern nicht erlaubt, welche Kleidung ist angemessen.
Damit sich Unachtsamkeiten nicht verselbständigen oder zur Gewohnheit werden, ist eine stetige Auffrischung wichtig. Daher müssen alle Mitarbeiter*innen — nicht nur die pädagogischen Fachkräfte — an den Schulungen teilnehmen und diese auch alle fünf Jahre wiederholen. Nach den Schulungen kommen die Kolleg*innen oft mit Fragen oder Anregungen wieder in ihren Alltag zurück. Da die Mitarbeiter*innen eines Teams zeitversetzt an den Schulungen teilnehmen, ist das Thema “Grenzachtung” somit stets präsent.
Eine Beschwerde ist ein gutes Zeichen, dass Demokratie funktioniert
“Ein Ziel ist neben dem Schutzaspekt”, so Britta Kleine und Mathias Haase, “dass die jungen Menschen Demokratie lernen. Sie sollen lernen, mehr und mehr eigenständig zu entscheiden. Und das beginnt schon bei den Kleinsten, wenn sie sich aussuchen, was sie heute anziehen wollen oder bei den größeren, wofür sie ihr Taschengeld ausgeben. Sie sollen ebenso lernen, Dinge kritisch zu hinterfragen und Missstände zu benennen.”
Das bedarf der Erlaubnis der Erwachsenen: ‘Du darfst dich beschweren und uns kritisieren.’ Das ist nicht immer leicht; es muss geübt und eine grundlegende Haltung werden.
Mathias Haase ist daher stolz, wenn ein Kollege in der Schulung berichtet, dass ein Jugendlicher sich bei seinem Betreuer darüber beschwert hat, dass er eine ´Strafe´ ungerecht empfand und sie jedoch gemeinsam darüber reden und eine gute Lösung finden konnten. “Das bestärkt mich, dass die Kinder und Jugendlichen auch mutig werden, und sich auch hoffentlich melden, wenn es zu Grenzüberschreitungen kommt, weil Erwachsene versucht haben ihre Autorität und Macht zu missbrauchen.”
Unser Vorbild kann die Rechte von Kindern und Jugendlichen stärken
“Für die Familien können wir ein Vorbild sein. Davon berichten insbesondere unsere Kolleg*innen in den aufsuchenden Hilfen”, erklärt Britta Kleine. “Es gibt eine hohe Sensibilität dafür, wer zuerst den Raum betritt oder dass Fachkräfte in den Familien auf keinen Fall ungefragt in den (Kühl-) Schrank schauen oder die Zimmer betreten. Auch nicht in den Fällen, in denen es einen Kontrollauftrag dazu gibt. Das schätzen die Familien und übernehmen davon auch oft etwas für sich.”
Wenn Eltern durch unser Verhalten inspiriert werden ihre Rolle zu hinterfragen, dann ist dies ein wertvoller Anstoß über die Bedürfnisse und Rechte der Kinder und Jugendlichen nachzudenken und sie zu stärken.
Risiken identifizieren, damit es nie wieder passiert
Wir sind verpflichtet Risiken im Alltag zu prüfen, in denen Macht misbraucht werden und das Wohl der jungen Menschen gefährdet sein könnte. Für jedes Konzept erstellen die Mitarbeiter*innen eine Risikoanalyse und überlegen welche Schutzmaßnahmen getroffen werden können. Die Konzepte werden zudem vom Landesjugendamt geprüft.
Aus der Geschichte unserer Einrichtung wissen wir, dass Kinder bis in die 1980er Jahre (sexuelle) Übergriffe erleben mussten und Verantwortliche nicht adäquat reagiert und den Schutz nicht sichergestellt haben. Daher ist uns die Präventionsarbeit besonders wichtig, damit Kinder und Jugendliche im junikum heute besser geschützt sind als es damals für einige war.